Zwischendurch eine gute Nachricht

Ich habe den Wecker ignoriert und für heute beschlossen, dass die Zukunft an diesem Tag mal nicht in der europäischen Kategorie „Menschheits- und Weltgeschichte“ gemessen wird, sondern in Minuten. Danach habe ich mich erst mal wieder hingelegt oder, besser gesagt, ich bin gar nicht erst aufgestanden und habe die Stellung noch weitere 25 Minuten gehalten.

Es folgte ein Traum. Der Person wollte ich ohnehin noch drei Fragen stellen, aber sie war so redselig – anders, übrigens, als in meiner Erinnerung -, dass ich gar nicht zu Wort kam. Das hat mich glücklich gemacht. Ich bin nicht sicher, ob es real war, aber das spielt keine Rolle.

Danach bin ich richtig gut gelaunt in den Tag gestartet. Es war so gut, dass mich der Übermut gepackt hat. Ich habe die Blaubeeren in die weiße Müslischale geworfen und nicht gewaschen. Dann habe ich die Hafermilch, die eigentlich Haferdrink heißt, direkt auf das Obst gegossen und vergessen, dass zuerst das Müsli in die Schüssel muss und ich sage mal so: „Ich habe es überlebt…“ (mache es danach aber nie wieder, denn ich bin ein modernes Wesen oder System, das wird sich im Verlauf noch klären).

Heute ist Markt und es ist alles wie immer. In der Stadt redet man die Weltpolitik klein oder man bespricht direkt die eigenen Probleme, dann fühlt man sich größer. Die Tierarzt-Kosten sind wohl gestiegen, aber ich habe noch keinen ängstlichen Hund gesehen.

Ich habe ihnen an diesem Tag sehr genau in die Augen gesehen, aber sie wirkten allesamt glücklich. Vielleicht haben sie auch von der Realität geträumt, wer weiß das schon so genau. An dieser Stelle versuche ich in eine andere Dimension zu wechseln und nun laufe ich an der Leine durch Deutschland.

Das Mittagessen habe ich vergessen, aber ein Geschenk konnte ich finden. Endlich bin ich in den Laden auf der Hauptstraße gegangen. Dort wartet ein alter Mann auf der Leiter, den Rücken mir zugewandt. Es war der perfekte Einstieg in einen Weihnachtsfilm oder in eine Werbung.

Was mir positiv auffällt: In diesem Laden, der aus der Zeit gefallen wirkt und ist – und dabei keine Szeneerscheinung ist -, finde ich eine in mir verborgene Person und ihre Sprache. Es ist also der Supermarkt der mich und die Verkäufer entfremdet. Der Mann ist überrascht, dass ich nicht mit meiner Karte bezahlen will. Gute, alte Welt – heute.

Es geht dennoch schnurstracks voran in die Zukunft des Tages und am Nachmittag laufen mir drei bekannte Gesichter über den Weg. Ich halte an, wir besprechen ein paar Dinge und der Abend kann kommen. Fortsetzung folgt.

Der Autor wurde zum Ende hin vom Leben unterbrochen. Sie lacht ihn an und er sie auch, und in einem anderen Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Hinterhofs tut Er es Ihr gleich. Heile Welt. Keine Angst. Keine Angst vor der Zukunft, sie wohnt gleich nebenan und hat gute Laune. Siehst du sie auch?

Ich . ZURÜCK

Es hat sich gewunden
gewehrt und geräuspert –

das Ich hat eine
neue Position
die alte Stellung
ist folglich vakant

„Du“, sagt einer und…

kein Mensch wird
neu ausgeschrieben

ein neuer kommt
und Er macht
den Abwasch

klimaneutral

Sie streitet nicht
Sie streiten nicht
Er, Sie, Es zeigt sich zufrieden
Sie leben
gemeinsam
die Illusion

ganz ohne Kapital

Ständige Jugendsünden

Heute bekenne ich mich schuldig zu nichts
außer zu mindestens fünf Beleidigungen, die es wert waren
und zu 3 Flüchen, die sich zu früh erschöpft haben
auch wurde gestern ein neues Spielzeug geliefert
weil ich gerne fliege, bin ich Politiker geworden
weil ich gerne abstürze auch.

Beichte abgenommen von ehemaligen Priester, heute im Ruhestand
Maria Manning

PS: Der Verrat war das letzte Mittel, das mir gezeigt hat, dass es anderes gibt.

Innen fühlt es sich so an

Es gibt keinen Fortschritt. Aber man lernt – damit zu leben. Muss. Der Wohlstand trinkt Glühwein. Der Spießbraten tropft. Im Zucker lacht das Zahnarztgesicht und die Fratze begegnet einem im omnipräsenten Maskenball ständig.

Innen fühlt es sich gut an. Sicherheit. Gewissheit. Man findet zu sich, wer oder was auch immer das ist oder da. Die Suche nimmt kein Ende. Das lernt man. Vielleicht ist das Finden das Leben.

*Am Rand führen Menschen Gespräche. Manchmal sind wir mittendrin. Das ›Ich bin es dann auch‹ teilt eine Story auf Insta. Digital jetzt; eben.“

Im Fernsehen läuft eine Doku über Amerika. Ich kriege Fernweh. Aber ich kann auch nicht zwei Leben gleichzeitig leben. Mit dem Einen scheitere ich am Zweiten und hoffe auf das Dritte? So geht die Sache sich nicht gut aus. Widerstand leisten? Erfolgreich; im Kleinen.

Das ›Ich‹ geht Zähneputzen und lacht in den Spiegel. Heute ist ein guter Tag. Hier und in Amerika. Wir denken an beide…

…wird schon irgendwie gehen.

Stehe an der Wand. Blicke in die Stadt. Die Straße hinunter. Dort atmet ein Baum die Jugend der neuen Zeit. Die Menschen gehen an ihm vorüber. Eine Frau führt ihren Hund gassi. Der Pinkelt und markiert seine Revier. Ansprüche werden erhoben. Ein anderer kommt und pinkelt. Im Skat sagt man Kontra. Der Bauer sucht seinen Weg durch die Wirtschaft und bestellt noch zwei Bier. Im Winter ist das Vieh träge. Die Spuren der Arbeit zeichnen den Mann.

Nach einer Stunde steht der Baum immer noch da. Regungslos und wenig eitel. Die Zukunft muss nicht immer eine Last auf den Schultern sein. Frage mich, wo die Schultern beim Baum sind. Die Vögel sitzen darauf und brüten was aus.

Als es dunkel wird, verlasse ich den Ort. Gehe raus, am Baum vorbei. Die letzten drei Stunden wurde viel gesprochen. Ich habe einiges mitgeschrieben. Die Zukunft soll wissen, was hier passiert ist und – was nicht. Ich bin die Moral und das Gewissen. Die Menschen lieben mich. Manche beten mich an. Dann versuche ich immer zu bremsen. Auch ich bin nur ein Mensch. Mit meinen Fehlern, meinen eitlen Übertreibungen und der manchmal naiven Ignoranz. Aber ich meines es gut. Wirklich.

Ein Hund bellt. Ein Auto fährt vorüber. Die Straße glänzt im Mondlicht. Der Regen zeichnet Spuren ins Licht der Laternen. Dann bin ich zu Hause. Gehe ins Bett. Morgen ist ein neuer Tag. Dann, endlich – Zukunft.

Am Fenster, fast noch mitten in der Nacht

Die kalte Luft weht durch das Fenster zur Straße. Der Verkehr steht still. Nach dem Regen in den letzten Tagen ist es etwas abgekühlt. Ich sitze am Schreibtisch im anderen Zimmer. Hier ist die Luft etwas stickig. Zum Schlafen ist es zu warm. Ich bin auch kaum noch müde, obwohl ich es planmäßig sein müsste. Es ist vier Uhr nachts. Durch das Fenster mit Blick in den Hinterhof sehe ich, dass der Fernseher bei den Nachbarn noch immer oder immer noch läuft. Ich erinnere mich nicht, dass das Gerät überhaupt einmal ausgeschaltet war.

Ich trinke einen Kaffee, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das klug ist. Wenigstens sind ab heute Ferien und ich habe keine externen Verpflichtungen. Fast keine. Muss noch Materialien vorbereiten. Wir sprechen später über Christa Wolf. Ich spreche noch häufiger über ›Christa Wolf‹ – zumindest vermute ich das. Ich habe es mir vorgenommen. Eigentlich ist es schon sicher. Das Aufsatzthema steht – inoffiziell gibt es schon einen Titel. Habe mir weitere Bücher bestellt. Bin gespannt, obwohl ich weiß, dass ich nicht alle sofort in die Bearbeitung nehmen kann. In der Warteschlange sind noch weitere Dinge. Schreibe über Remarque und Niedecken bis September und bis Ende des Jahres. Plane weitere Projekte und hoffe auf Abschlüsse. Spreche gerne über Literatur.

Nachts um vier denke ich an 2006 und an eine Wohnung in Mülheim. Damals dachte ich an den AXA-Turm, heute denke ich an damals. Ich denke an die letzten Nächte im Bett. Dann kommt die Lücke. Ich denke an Abende auf dem Camping-Platz – vor der Pandemie. Jetzt könnte man wieder fahren, aber es ist gerade nicht die Zeit. Jetzt, da sie alle in Urlaub strömen und die Erfahrungen der letzten Monate krampfhaft vergessen wollen, genieße ich den Sommer in der Stadt auf eine seltsam melancholische Art und Weise. Ich erfreue mich an der frischen Luft, die durch das Fenster dringt. Die Kühle ist seltsam materialistisch, der Sommer ist greifbar. Im Hintergrund der Häuser beginnt der neue Tag, der sich unbeschwert aus dem Gestern häutet. Ich beschließe, dass ich Lücken nicht weiter zu füllen gedenke.

Bis eben suche ich die Ruhe krampfhaft, um das Morgen zu gestalten. Um in der alltäglichen Routine zu verweilen. Dort, wo Unsicherheiten an Normalität gewinnen. Der Sommer bleibt auf seine Art eine Entlastung. Über all die Jahre hinweg ist das sicher. Er steht über den Dingen. Ich denke an einen anderen Morgen, als ich jugendlich die Nachtschicht verbringe. Die Menschen von damals sind dort geblieben. Ich musste seinerzeit weiter. Nun sitze ich hier an meinem Schreibtisch und bin nicht weitergekommen. Mache eine kurze Inventur der gesammelten Erfahrung. Im Hintergrund des Monitors leuchtet eine LED-Lampe. Ein Lüfter rauscht und wälzt die stehende Luft. Im Ohr singen Vögel, der Morgen kündigt sich an und ich bin fast genauso gelöst wie damals, als ich aus dem Club durch den Wald in das Bett kam. Nur der Morgen danach endet nicht nüchtern in der Besinnungslosigkeit, sondern in einem weiteren Kapitel der noch unfertigen Geschichte.

3 Episoden eines einfachen Tages mit Kindern im Homeoffice

Eigentlich bin ich heute Morgen aufgewacht und wollte ein Gedicht schreiben. Als Ablenkung von der Sache, die ich eigentlich hätte machen müssen und die immer noch auf mich wartet. Das Wort „immer“ scheint wie eine Art Damoklesschwert über allem zu hängen und die Zeit ist offensichtlich eine der scheiternden Unendlichkeiten. Unabhängig davon überwindet ein bisschen Sprache den einzelnen Moment und man fühlt sich kurz gut. Man ist im Gespräch mit sich selbst oder belauscht das Selbst im Gespräch – ja, mit wem eigentlich. Also seitdem die höheren Mächte ausgefallen sind und ansonsten nur hochspezialisierte Wissenschaften und ihre Teildisziplinen bleiben, seitdem fühle ich mich nicht einsam, auch nicht allein, aber irgendwie isoliert von etwas. Haltlos, sodass die Unendlichkeit eigentlich auch gar keine Kategorie mehr sein kann. Streng genommen ist die einzige Kategorie, die ich täglich überwinden muss, der Tag selbst – und sein Ende. Im Überwinden der eigenen Endlichkeit lenkt das Zuhören ungemein ab. Ich beobachte was da passiert mit den Stimmen die von überall kommen und ein riesiges Nebeneinander erzeugen. Man kann wirklich erstaunt sein, was man in der Welt so erfährt, ohne aktiv dabei gewesen zu sein. Einmal mehr wäre ich gerne ein guter Bibliothekar oder Archivar. Oder einfach ein Könner in Sachen Data-Management. Allein mir fehlen die Schlagworte mit zukünftiger Kohärenz. Ich scheitere an der Stringenz des ständigen Morgens und lege mich wieder hin. Im Traum setze ich mich noch einmal an den Schreibtisch und schreibe ein paar Verse.

An die Natur und an meine

Der Wald ist feucht
Er ruft nach dem Morgen 
Erwachen ist seine Bestimmung 
Eine Stimme pfeift durch das Unterholz 
Ein Tier ist nicht davon überrascht,
aber von etwas anderem. 

Das Grün schießt in die Blätter 
Kelche öffnen sich für die Fluten der täglichen Energie 
Eine Frau wandert und ist auf dem Wege 
Die Kinder tun es ihr nach, aber machen es nicht gleich
Ein anderer wartet auf der Lichtung 
Beständig regt sich der Tag 
Im Schatten der sorglosen Existenz –
schreitet die Arbeit voran und ergibt sich.

Er ist nicht alleine, sondern sie sind … wie viele? 
Unbestimmt hört man die Liebe
Die sich undefiniert über das Tal senkt 

In dem die Freude sich schwanger 
Auf die Geburt vorbereitet

* vor dem Abspann folgt eine Einblendung: „Fortsetzung folgt…“*

* Im Anschluss: – und tatsächlich klingelt zehn Minuten später der Wecker, wir stehen auf und treffen uns mit der ganzen Familie im Homeoffice und scheitern an der Ableitung einer schwierigen Gleichung. Das führt zu großem Gelächter, jahrgangsstufen- und klassenübergreifend. Danke, YouTube, ruft einer aus dem Nebenzimmer, – mit dir schaffen wir also auch die gar nicht so hohe Mathematik. Dem Internet sei Dank, die höhere Macht ist gefunden. Passend zur Gegenwart hört sie auf den Artikel „das“ und ist also offiziell Neutrum. Das klärt viele Fragen und einige Konflikte aus der Vergangenheit. Denkbar einfach ist nach einer Stunde das große Ziel erreicht. Es folgt noch etwas Zeit der schwachen Besinnung von Alltäglichkeiten. Nach acht Stunden klappen wir die Bildschirme zu und arbeiten gemeinsam weiter an unserer Zukunft.*

Ruhe bewahren, nüchtern bleiben – weitermachen

Viele Gespräche über die Zukunft geführt. Alle in der Gegenwart. Wenn überhaupt. Viele in der Vergangenheit. Verständnis habe ich nicht. Wenig. Zumindest. Man ist ja nicht in der Vergangenheit, also nie. Selbst in Gedanken ist das eine Zumutung. Also für die wahre Geschichte. Die Realitäten von gestern sind überfordert mit dem Kummer von heute. Ideenlos schlendern Gruppen aufeinander zu. Hier und da prügeln sich sogar solche, die das Wort ›Hooligan‹ als Beschimpfung benutzen. Auf Twitter wird gerade ein Menschenleben zerstört. Dann noch eins. Und dann löscht einer händisch die Profile der Bots. Paradoxie verkauft ihre Antworten auf Faxabruf. Welcome to Germany. Ein Bürokrat holt einen Ordner aus dem Regal. Die Sekretärin kommt dazu. Eine Chefin wird gerufen. Keine Quotenfrau. Produkt der besten Leistung. So kann es gehen. Man entscheidet sich gemeinsam den Fall zu vergessen. Stillschweigend. Verlorengegangen. Auf dem Flur: „Damit ich dich besser fressen kann.“ – Einer ist in psychologischer Behandlung. Eine Andere auch. Sie treffen sich im Wartezimmer. Fürchten die Rückkehr. Man möchte anonym bleiben. In der Gesellschaft ist einem Schwäche peinlich. Zumindest solange sie nicht vermarktet werden kann. Alles kann vermarktet werden. Schusswaffengewaltlegitimierung. Aber die meisten interessieren sich für weniger. So besonders ist kein Mensch, dass jeder Einzelne wichtig wäre. Der Algorithmus zeigt uns die Wiederholung. Reels auf Instagram in Dauerschleife. Ärsche, Essen und Beziehungstipps von Menschen die ein gutes Leben führen. Irgendwo auf der Welt. Immer auf Reisen. Nachhaltig. Penetrant. Sendungsbewusst. Ständig auf der Suche nach dem Gefühl – in der Bewegung. Durch Raum und Zeit das Selbst verloren, auf Kosten der anderen, weil man ›sich‹ nicht mehr spürt. Trotz der Gesellschaft. Ich und Du, wir sind uns fremd. Wir sind einander nicht mal mehr Wölfe. Still das Verlangen. Doch zum Abschuss bereit. Drogen regeln den Rest. Bis zur Besinnung. … Das Zittern, wenn ich, aus der Routine geworfen, nach dem Weg fragen muss und feststelle, dass deine ehrliche Antwort ist: „Ich weiß es auch nicht.“ – Ganz unaufgeregt. Man schaut in die Zukunft. Sucht den passenden Filter. Will Dinge verändern. Falsche Story gepostet? Panikbefreit. Shitstormismakinmefamousyouidiots. #Schreie (abseits der Realität, wirken lebendig). Ohne Radikalität. Mit Empathie. Irgendwo ist jemand schwanger. Wir freuen uns. Reparieren den Bus. Morgen setzen wir über. Wenn die Fähre dieses Mal auf uns wartet und wenn der Kapitän akzeptiert, dass wir auf das Wechselgeld verzichten – zu seinen Gunsten.

Die letzte Nacht

Drei Personen sitzen an einem Tisch. Links der Graben. Der Hintergrund ist dunkel, schwarz. Man sieht einen roten Vorhang im Schatten. Künstliches Licht erhellt die Szenerie. Hinter dem Graben sieht man leere Sitzplätze. Von der Position auf der Bühne ist schwer zu erkennen, inwiefern die Plätze gepolstert sind. Dass die Szene sich durch eine gewisse Härte auszeichnet, bleibt ein Widerspruch in der seichten Kontur.

Alles sieht danach aus, dass es sich um eine Übung oder eine Probe handelt. Die Personen am Tisch unterhalten sich. Es wird gelacht. Das Buch scheint keine wichtige Rolle zu spielen. Sätze fallen und werden zu offenen Dialogen. Die Perücke des Menschen gegenüber am Tisch ist kastanienbraun. Durch die gelockten, längeren Kunsthaare, die im Licht auffällig glänzen, wirkt das Gesicht lächerlich. Obwohl man es gar nicht erkennt. Es ist hell, dass die Nase in der Mitte und die Augen darüber liegen, bleibt eine Vermutung.

Der rechte Platz ist besetzt, aber bleibt in der Unterhaltung passiv. Stört aber auch nicht. Die Stimmung ist gelöst. Es ist fast schade, dass die Probe nicht aufgezeichnet wird. Wenigstens das. Eine Unterhaltung funktioniert auch ohne Publikum. Aber sie bleibt wenig bedeutsam. Das Lachen und der Applaus fehlen für die Bedeutung.

Die Regisseurin ist per Tablet zugeschaltet. Eine Stimme aus dem Off erklärt über die Lautsprecher, dass ihr Platz gerade aber unbesetzt ist. – Jetzt, wo sie es sagen… Auch auf Distanz muss man mal Kippen holen. Sie holt noch zwei Kurze dazu. Abseits der Bühne. Was soll der Geiz. Das Leben ist sowieso eine kurze Angelegenheit. Der scharfe Geruch des Alkohols fehlt nicht. Rauch kommt notfalls aus der Nebelmaschine.

Der Lautsprecher ist offensichtlich noch offen. Er streitet sich mit der Frau seines Vertrauens. Lautstark. Das Gespräch auf der Bühne ist kurz unterbrochen. Dann zieht er den Regler am digitalen Mischpult runter. Der offene Impuls in den Raum bleibt unbemerkt. Ihm ist offensichtlich nicht bewusst, dass unten noch Menschen sitzen.

Die Batterie am Tablet geht aus. Auch das Streaming ist irgendwann zu Ende. Immerhin hat das WLAN heute den Akku besiegt. Liegt aber auch nur daran, dass nach gestern nicht geladen wurde. Noch ein Versäumnis der Requisite. Was will man machen. Auch Handwerk verlernt man, wenn es nicht kontinuierlich gebraucht wird.

Drei Personen am Tisch schweigen sich an. Plötzlich erstarren sie wirklich. In der Person im vorderen Bildbereich regt sich Widerstand. Eine Panik als bliebe die Luft weg. Der Zustand wird klaustrophobisch. Nicht mehr im eigenen Körper. Gefangen, ganz in der Figur. Kein Entkommen, keine Bewegung. Alles erstarrt. Der Dialog ist am Ende. Dabei gäbe es noch einiges zu sagen. Zu lachen.

Drei lustige Erinnerungen wurden noch nicht „noch einmal“ erzählt. Gerade jetzt, wo das Tablet schweigt und die Requisite wahrscheinlich die Kinder aus der KiTa holt, wäre ausreichend Raum, sich mal über alles und jeden auszulassen. Mobbing am Arbeitsplatz ist scheiße, aber passiert. Die Anspannung muss irgendwo hin. Aber gerade jetzt staut sich der Rauch unter Haut.

In einem lauten Knall tritt der Tod von rechts auf die Bühne. Er ist dunkel gekleidet und ansonsten unkenntlich. Er (oder sie?) steht im Kontrast zu den Figuren am Tisch. Requisite ein Messer. Keiner kann sich bewegen. Alle haben Angst. Die rechte Figur wird von hinten vom Stuhl gezogen. Gegen ihren Willen und doch regungslos. Alles ist kurz lebendig. Dann ist es zu Ende.

Vorhang.

A: Jetzt sind wir zwei. Wir unterhalten uns. Die Stille ist nicht zu ertragen.

B: Finde ich auch.

A: Immerhin.

Abgang.

Stimme aus dem Untergrund

Erinnere mich an Ratten auf dem Buffet. Im Nebenhaus. Dort, wo die Schlafplätze sind. Durch das Tor, an den Türstehern vorbei, dann links, die Treppe hoch. Kühlschrank mit Bier. Bekomme backstage mein Bändchen. Verrückte Welt. Spiele mit einer Kölner Band, die heute in anderer Besetzung im Karneval aktiv ist. Ich mache den Anfang am Abend. Ziehe das Ding durch. Gewohnt und absolut aufgeregt. Bluthochdruck mit gutem Grund. Habe für das Underground bisschen wenig Druck dabei. Also musikalisch. Der Laden ist eher bekannt für die wilden Töne. Hart, aggressiv und radikal ehrlich. Wenigstens in der letzten Kategorie hoffe ich, dass ich zur Lage passe. Der Soundcheck fällt recht kurz aus. Ich spiele „Ich halte eifrig Schritt“ an. Läuft, ich bin aufgeregt und späte Anfang 20.

A: Ja, ich muss auch gerade erst mal mein stolperndes Punkherz einfangen. Das poltert vor lauter Frühling auf die Straße und vermisst bei jedem Boysetsfirelied das Underground.

Verlasse das Haus, es riecht nach Sommer, die Luft schmeckt nach Köln. Ich würde so gerne noch einmal den Morgen danach in der lauten Musik verbringen. Bei der genervten DJane einen laut geschrienen, aber wenig innovativen Musikwunsch abgeben. Bisschen cool sein. Also so tun zumindest. Dass es wenigstens so wirkt, als wäre ich der Junge mit Musikgeschmack. Bisschen Underground. Bisschen passend zum Laden und den Leuten. Bisschen cool. Bisschen Punk. So halt.

B: Underground? Gibt’s doch gar nicht mehr, oder?
A: Teil des Problems.
B: I see.

Eine der größten Bausünden in Köln – und da fallen einem eine ganze Menge ein – ist ganz sicher der Abriss des Ladens da in Ehrenfeld. Da war so viel Leben drin. Das kann man nicht einfach woanders wieder aufbauen. Das braucht Jahre. Und wenn eine ganze Generation es vergisst, dann vielleicht auch noch länger. Das ist so viel wert. So eine Art dreckiger Nabel der Welt. Für Punk viel zu teuer, viel zu viel Szene. Eine Anlaufstelle für alle Altersklassen, mit Pfand-Chip-System für Leergut. Allein das zeigt schon, dass Punk dort eher Kapital trifft, getroffen hat oder treffen wollte. Da ging es nicht um Anarchie, sondern um Wirtschaft. Aber die Abende, der Hardcore, die Schreierei. Das war schon was. Gerade morgens um sechs.

It’s you and me and the gasoline

Ist einfach vorbei. Wie unser erstes Gespräch an der Bar. Wäre so schön, wenn ich einfach wieder hingehen könnte. Noch einmal wie früher. Morgens um sechs. Der Anker, das Leben. Das „Du…“ und das danach. Auch Jahre später fehlt was. Wenn ich das Haus verlasse, der Sommer mich ruft und uns alle. Wenn meine Playlist mich mit Boysetsfire begrüßt, dann lache ich in die Sonne und weiß was verloren ist. Aber das erste Glück kann man nicht rauben. Es ist da. Unvergessen. Ein Graffiti auf Ziegelstein. Ich war dabei. Und ich weiß auch, dass es so nie wieder wird. Und das ist auch gut so. Aber so oder so ähnlich. Das geht schon. Anders, ganz sicher. Gut wird’s bestimmt. Bis dahin – mal eben kurz was arbeiten. Dann sprechen wir uns.

Kacke + ISSO = <3

Hab sie angerufen. Hat keine Zeit oder doch. Vielleicht. Texten. Aber keine Lust. Weiß auch nicht was los ist. Kurz überlegt, was tun. Aufgelegt. Wollte schreiben. Nochmal. Nochmal. Und nochmal. Sprachnachricht – glücklicherweise nichts geschickt. Was heißt „glücklicherweise“. Weiß auch nicht genau, was da los ist. Wüsste es gern. Moi. Aber irgendwie Mauer. Mitten im Plötzlich. Aber so plötzlich auch nicht. Ist schon mal passiert. Vor paar Wochen. Dann bleiben. Das Geschichte! Wüsste gerne was los ist. Ich rufe an. Legt nicht auf. Also schon vorher. Sie… Ich warte, aber irgendwie. Heute, denke ich. Morgen ist auch noch ein Tag.

Nachricht gesendet. Empfänger unbekannt verzogen. Nachsendeantrag gestellt. Abwarten.

Eine Stimme aus dem Off spricht mechanisch.

„Bitte sprechen Sie nach dem Signal.“

Vorhang fällt, halbe Strecke, dann lauter Knall.

*vereinzelt Applaus*

Aus dem Nichts ist so nicht ganz richtig

Da bin ich nun. Mitten in Kalk. Zurückgeworfen auf das Ich. Mitten in der Pandemie. Schreibe so vor mich hin. Endlich mal wieder was texten. Offen an allen Ecken und Enden. Projekte laufen – aus. Instagram macht mich fertig. Überall braucht man Bilder. Für was eigentlich. Will auch. Für alle. Für mich. Bisschen beliebt sein. Suche mir Hilfe. Bezahlt. Mein Text kommt aus der Retusche. Bangladesh! Mehr Kontrast. Geht kaum. Aber: Irgendwie schicker. In echt. War aber nicht mehr so real. Kann man auch deutsch aussprechen. Dann klingt es fast philosophisch.

Hab noch paar Alte. Dies das. Müsste ich mal hier reins… Irgendwann in einer freien Minute. Fotoalbum. Die ganzen genialen Texte auch rein. Alles Poesie. Große Gedichte. Klasse, mindestens Fragmente. Auch all das Angefangene ist super wertvoll für die Nachwelt. Werde ich alles in die Box packen und dann raushauen. Großer Knall. Dann richtig. Vom Anfang ans Ende. Fertigmachen. Alles so richtig. Paar Essays, Romane. Die digitale Welt als ganz große Bühne!

Telefon klingelt – Festnetz.

„Hallo…?“, sagt einer in die Leitung. Ich bin der Eine. Die andere Seite schweigt oder spricht nicht. Vielleicht gibt es sie gar nicht. Vielleicht auch klassisch verwählt. Klassisch, aber schlechte Erziehung. Oder eine Maschine. Schon oder endlich. Whatever. Der Lektor ist es nicht. Genervt. Auch nicht die Lektorin. Scheiße. Könnte gut werden. Wenn der endlich anruft und sie den Text animiert hat. Oder er. Geschlechter sind den Buchstaben egal. Geht nur um die Punchline. Verkaufen hat wer gesagt. Nicht verwählt. Wäre gut, wenn die endlich mal wieder hier durchklingeln. Hier oder woanders. Klingeln. Klingelbeutel. Ist bald so weit. Kohle ist durch. Also auf. Also weg. Brauch mal wieder was Input. Finanziell. Könnten doch mal was schicken.

Meldet sich keiner. Wahrscheinlich war das letzte Manifest einfach kacke. Festnetz schalte ich trotzdem ab. Internet geht sowieso nicht mehr richtig.

Alles aus dem Kopf in die Datenbank.

Also ich habe jetzt überlegt, neulich auf dem Parkplatz bei Netto, das ist ziemlich genau der Ort – dort kam mir der Gedanke: Ich mache das noch mal wie früher. Einfach bisschen schreiben. Für nix und niemand. Hinein in die Datenbank. Open End wie alle Projekte. Nicht alle. Befinde mich im vierten Akt. Die eine Lerngruppe denkt vielleicht an Gustav Freytag. Retardierendes Moment. Moment. Gleich hab ich es.

Ich sag (kann hier wie ‚ch‘ gesprochen werden) im Unterricht immer: Schreibplan, Konzeptpapier und dann richtig gute Texte. Zeit festsetzen und so. Ehrlich gesagt: Das ist nur die halbe Wahrheit.

Vorhang. Bei Lesenden klatscht der Zweifel Applaus. Das Missverständnis wartet im Parkhaus. Altmodisch gekleidet (aber: modisch!). Auto vielleicht ein alter Volvo oder Opel Kadett. So in die Richtung. Parkend.