Die letzte Nacht

Drei Personen sitzen an einem Tisch. Links der Graben. Der Hintergrund ist dunkel, schwarz. Man sieht einen roten Vorhang im Schatten. Künstliches Licht erhellt die Szenerie. Hinter dem Graben sieht man leere Sitzplätze. Von der Position auf der Bühne ist schwer zu erkennen, inwiefern die Plätze gepolstert sind. Dass die Szene sich durch eine gewisse Härte auszeichnet, bleibt ein Widerspruch in der seichten Kontur.

Alles sieht danach aus, dass es sich um eine Übung oder eine Probe handelt. Die Personen am Tisch unterhalten sich. Es wird gelacht. Das Buch scheint keine wichtige Rolle zu spielen. Sätze fallen und werden zu offenen Dialogen. Die Perücke des Menschen gegenüber am Tisch ist kastanienbraun. Durch die gelockten, längeren Kunsthaare, die im Licht auffällig glänzen, wirkt das Gesicht lächerlich. Obwohl man es gar nicht erkennt. Es ist hell, dass die Nase in der Mitte und die Augen darüber liegen, bleibt eine Vermutung.

Der rechte Platz ist besetzt, aber bleibt in der Unterhaltung passiv. Stört aber auch nicht. Die Stimmung ist gelöst. Es ist fast schade, dass die Probe nicht aufgezeichnet wird. Wenigstens das. Eine Unterhaltung funktioniert auch ohne Publikum. Aber sie bleibt wenig bedeutsam. Das Lachen und der Applaus fehlen für die Bedeutung.

Die Regisseurin ist per Tablet zugeschaltet. Eine Stimme aus dem Off erklärt über die Lautsprecher, dass ihr Platz gerade aber unbesetzt ist. – Jetzt, wo sie es sagen… Auch auf Distanz muss man mal Kippen holen. Sie holt noch zwei Kurze dazu. Abseits der Bühne. Was soll der Geiz. Das Leben ist sowieso eine kurze Angelegenheit. Der scharfe Geruch des Alkohols fehlt nicht. Rauch kommt notfalls aus der Nebelmaschine.

Der Lautsprecher ist offensichtlich noch offen. Er streitet sich mit der Frau seines Vertrauens. Lautstark. Das Gespräch auf der Bühne ist kurz unterbrochen. Dann zieht er den Regler am digitalen Mischpult runter. Der offene Impuls in den Raum bleibt unbemerkt. Ihm ist offensichtlich nicht bewusst, dass unten noch Menschen sitzen.

Die Batterie am Tablet geht aus. Auch das Streaming ist irgendwann zu Ende. Immerhin hat das WLAN heute den Akku besiegt. Liegt aber auch nur daran, dass nach gestern nicht geladen wurde. Noch ein Versäumnis der Requisite. Was will man machen. Auch Handwerk verlernt man, wenn es nicht kontinuierlich gebraucht wird.

Drei Personen am Tisch schweigen sich an. Plötzlich erstarren sie wirklich. In der Person im vorderen Bildbereich regt sich Widerstand. Eine Panik als bliebe die Luft weg. Der Zustand wird klaustrophobisch. Nicht mehr im eigenen Körper. Gefangen, ganz in der Figur. Kein Entkommen, keine Bewegung. Alles erstarrt. Der Dialog ist am Ende. Dabei gäbe es noch einiges zu sagen. Zu lachen.

Drei lustige Erinnerungen wurden noch nicht „noch einmal“ erzählt. Gerade jetzt, wo das Tablet schweigt und die Requisite wahrscheinlich die Kinder aus der KiTa holt, wäre ausreichend Raum, sich mal über alles und jeden auszulassen. Mobbing am Arbeitsplatz ist scheiße, aber passiert. Die Anspannung muss irgendwo hin. Aber gerade jetzt staut sich der Rauch unter Haut.

In einem lauten Knall tritt der Tod von rechts auf die Bühne. Er ist dunkel gekleidet und ansonsten unkenntlich. Er (oder sie?) steht im Kontrast zu den Figuren am Tisch. Requisite ein Messer. Keiner kann sich bewegen. Alle haben Angst. Die rechte Figur wird von hinten vom Stuhl gezogen. Gegen ihren Willen und doch regungslos. Alles ist kurz lebendig. Dann ist es zu Ende.

Vorhang.

A: Jetzt sind wir zwei. Wir unterhalten uns. Die Stille ist nicht zu ertragen.

B: Finde ich auch.

A: Immerhin.

Abgang.