Schlagwortarchiv für: Kattowitz im Herbst

Dissonanz

Kontrastreicher Bruch:

Kommen von der Musik
Historische Musik
Konzertsaal

Hier und jetzt
Elektronisch
Club

Wir sprechen über Musik
Singen, machen und zeigen
Sich gemeinsam vergessen

Wer Musik macht und kennt
Die Höhen und Tiefen als
Grenzen des Eigenen
kommt zusammen im Abseits

Was den Moment wirklich klärt
ist Ausdruck durch Empfinden
braucht nur wenig Klang, nur
Stille – – –

Und:
Sprache in all ihren Zeichen.

Stilvoll im Umgang
Mit offenen Armen
Alles gegeben
Offenheit
Bis an die Stelle
Hier
Jetzt
————————————————————-
Veränderung
Grenzziehung
Scharrende Hufe
Ignoriere das Tanzen
Totale Privatheit
Wenn wir das tun
Habe Lust darauf
Während ich schreibe
Doch es muss stimmen
Ort
Zeit
Musik
Mensch
Stimmung

Bin für Radikalität
In der Beziehung
Gebundene Harmonie
Nur wenn alles passt
Ist der Tanz ein
gültiges Instrument.

Hölzern schwingt er den Taktstab
Zum Dirigenten erhebt er sich selbst
Braucht man da kein feines Gefühl?
Tak, tak, tak –

Angezählt wie ein Tolpatsch
Vergewaltigt den Auftakt
Verweigerung des Einsatz
Jeder bestimmt selbst
in welchem Orchester man spielt
wessen Publikum man ist

Zum Schluss zeigt
die Macht ihre Fratze
im Trunkenbold
als geile Gespielin

“Man muss den Kopf
manchmal zu Hause lassen.”
Aufforderung: “Das müsst ihr klären!”
Doch – ich lasse mich nicht
ins Duell schicken

Suche den Stil.

Will dringend nach Hause
Gerate noch nicht aus der Situation
Suche Haltung und fühle mich
Nicht missachtet; geschändet
Vom Verhalten der Gruppe
Die keine mehr ist
– zu klein
Drei ist keine Gruppe
Das merkt man hier deutlich
Einladung in das eigene Appartement
Ich lehne ab; mehr als dankend
Deutlich

Keine Konstellation für diplomatische Beziehungen
Verhandlungen nicht führbar
Wenn diese Grenzen schon überschritten
Ist der Abend am Ende
Verstanden; zu gut
Erkenne die Wahrheit

Suche Professionalität
Ringe nach Luft

Konfrontation mit der Macht
Ich bin kein Herausforderer
Kein Interesse – außer am Menschen
Der Menschlichkeit; als Harmonie
Und als gute Gemeinschaft

Konfrontation mit der Wahrheit
Als ihr schlechtes Imitat
Perversion des Tierischen
Opfere mich gerne
Um zu beenden
Wenn Macht zeigt
Wie Verhalten
Gastfreundschaft konterkariert
Und mich zur Tür bringt
Als funktionalisierte Person
Eines Heuchlers
Der das Dritte nicht als Begehren sucht
Sondern als Besessener

***
Ich bin Europäer
musste nie schießen
und weiß um die Freiheit
und gehe nach Hause
wenn die Aufforderung kommt
oder –
an den Galgen
wenn Gewalt
wieder Welt ist
und Grenzen
sich blutend erheben
über den Häuptern
der andersgläubigen
Ketzer
und wenn das der Preis ist
um Haltung zu wahren
und im Frieden
Menschlichkeit
als Verantwortung
*** sichtbar lachend
den Schlächtern
– zu zeigen.

Balkon

Gestern daran vorbeigegangen. / Heute sitze
ich drin. / Irgendwie komisch. /
Die Gesellschaft macht es, dass es sich
richtig anfühlt. /

Suppe mit Waldpilzen. / Zander an Kartoffeln und
Möhrengemüse. / Erdbeer-Joghurt-Tarte
(oder so etwas in der Art) / Kaffee /

Sie waren schon seit Dienstag hier /
Wir hätten Ihnen doch das Institut gezeigt /
Einladung zur Wiederkehr /
Ich nehme sie an /
Als zeitlich unbestimmten Termin /
Verbindlich im Wort /

Wir sprechen über das Fagott. /
7 Jahre. / Kurzer Austausch. /
Saxophon. / Tauschen Adressen. /
Bleiben in Kontakt. / Via E-Mail. /

Der Blick einer mir nicht bekannten Angehörigen. /
Erkenne Anerkennung. / Man hat wohl gesprochen. /
Das sieht man in ihren Augen. / Ich versuche mich
im dankbar liebevollen, antwortenden Blick. /
Vielleicht gelungen. /

Wir wurden nebeneinander gesetzt. / Wie mir
jetzt klar wird. / Stil bis ans Ende. / Ins
kleinste Detail. / Sitzen vor den anderen. /
Öffentlichkeit pur. / Kein Platz für spontane
Intimitäten. / Falscher Ort, aber / auch gar
nicht gewollt. / Von meiner Seite. / Kenne
nur diese, / lege es nicht weiter darauf
an. / Mehr zu kennen, / in solchen Sachen
rational ehrliche Antwort sowieso schwer; /
selten. /

Zwischen uns und den anderen in
derselben Reihe eine Barriere wie eine
Grenze. / Zwei Uniformierte. / Paar. /
Gemeinsame Orden. /

Zwei Personen in Uniform:

a) Eine Frau, groß, schwarze Haare,
gefärbt, Kurzhaarschnitt, /
überschminkt, / kurzer Rock, / hohe
Schuhe, / im Stehen lange Statur – /
sitzend größer als ich stehend
(vermutlich) /

b) Ein Mann, größer, weniger Haare,
manche schon weiß oder grau, die Reste
sind schwarz, Bart / breite Schultern /
ernster Blick / sehr ernst / wirkt
wenig begeistert /

Sowjets in meinem Klischee. / Das es so etwas
wirklich gibt. / Hätte ich nicht gedacht. / Lache
innerlich laut. / Contenance. /

Es folgt Musik. Fern jeglicher Beschreibung. Hören
– ohne Worte.

Konzert vom Balkon. / Musik. /
Blicke. / Nähe. / Distanz. /
Meinerseits. / Musik./ Nähe. /
Distanz. / Fremde. / Grenzgang. /
Wäre nicht ehrlich. / Applaus. /
Musik. / Zugabe. / Applaus. /
Hingabe. / Körperlos schön. /
Ja. / Aufmerksamkeit. /
Bedingungslos. / Anders. / Musik
zu Ende. / Wir verlassen den
Balkon. /

*** ENDE OFFIZIELLER TEIL ***

Bohrungen II

Einstieg in private Geschichte; direkt erzählt. Bilder, Fotos, Dokumente. Klare Worte in ernster Sache. Klares Staccato der Rede. Nicht nur in eigener (da veränderte Musikalität; sonorer). Wenige in eigener. Durch einen Repräsentanten für einen ›Repräsentanten‹. Wollte nie einer sein.
Nun: Familiengeschichte muss erst einmal öffentlich erzählbar sein. Diese hier ist es. Höre zu. Gebannt. Forschend. In der Substanz. Klingen der Sprache. Denke es weiter.

Ich kapituliere in meiner Rolle als Bergmann. Zumindest für heute. Kann nicht einen ganzen Tag über alles verarbeiten, was auf mich einwirkt. Bergbau ist wirklich ein hartes Geschäft. Das muss man eigentlich gar nicht erfahren, um es zu erkennen. Tue es trotzdem.

Lade nun noch einige Beobachtungen und mögliche Errungenschaften des Tages in die letzte Lore – Rufe benommen: “Glück auf!”

*** Dunkelheit (wach; also: nicht schlafend) ***

Briefwechsel und Freundschaft ist ein schwieriges Geschäft. Überwachung ist heute ja unsichtbar. Digital. Früher waren die Leute da wohl noch bewusster in ihrer Vermittlung. Selbstzensur und private Boten für wirklich, wirklich Wichtiges. Kann man sich heute kaum vorstellen. Besonders, wenn öffentlich, dann hohe Aufmerksamkeit und intensive Kontrolle. Er wird doch nicht!
Freunde zu finden zwischen Scheinheiligen und falschen Helden, in diesem fragilen Substrat gemeinsamen Handelns; das ist vielleicht die eigentliche Kunst der Überwindung von Einsamkeit. Verbindlichkeit finden. Führt auch zum Eklat, wenn Spannung zu groß wird, folgt die Entladung. Schlimmstenfalls Explosion. Tote nur dann, wenn nicht genügend Distanz.
Sonst; bestenfalls Freundschaft verschüttet. Verwundungen sitzen tief, können heilen und doch bleiben Narben. Die Menschen sind sich ein schwieriges Gut. Leider.
Es bleiben wirklich nur Fragmente in der Erinnerung. Fetzen. Bestenfalls ein paar Sätze. Schlagworte. Wenn und weil alles so dicht ist.

(Ende der Ausschweifung)

*** Mittag ***

Vortrag fällt aus. Schade.
Vortrag wird gelesen. Auch schade.
Ich bin ein wirklich schlechter Bergmann; ich sagte es bereits glaube ich. Bin ich dann auch ein schlechter Arbeiter? Verliere Ordnung und Chronologie. Dabei bin ich doch sonst so für Struktur gegen das Chaos.

– Letzte Kraft voraus / noch einmal Konzentration –

Haus ohne Hüter, Wunder von Bern, Patriarchat durch Repräsentanten des verlorenen Vaters. Lücken zu füllen. Alternative Geschichte; verleugnete Vergangenheit; geht scheinbar weiter. Kontinuität der Eliten bis in den Tod; und darüber hinaus. Perversion der Geschichte. Kein Einzelfall. Man erinnert die Großen durch Siege nicht durch ihr Blut an den Händen. Schade eigentlich.

Eigen und Fremdbilder vor Gericht. *** Passage gestrichen aus triftigen Gründen ***

Beizeiten: Lektüre (während des Schreibens draußen vor einsetzender Dunkelheit dunkle Wolken am Himmel und Regenbogen, sehr intensiv in der Farbe; Intensität sogar steigend! – eine Woche später, Übertragung der Erinnerung, farblich brilliant und doch angeschrieben gegen das Vergessen. Die Spannung entweicht aus dem Körper und Platz für etwas Neues beginnt.

Fließender Übergang. Rückkehr. Lesung auf Polnisch. Die Abreise hat schon begonnen. Ich merke es nicht, aber es ist da. Der Aufstieg beginnt. Mühsam. Technik versagt. Gehe langsam. Verliere wertvolle Steine, harte Arbeit auf dem Weg zurück aus der Fremde ans Licht am anderen Ende. Ich hoffe, mehr als ein paar Dinge zu retten. Zuversicht steigt gegen Ende, da die Kräfte aus dem Körper langsam weichen (trotz Adrenalin) und schließlich die Stimmen verraten, dass die Oberfläche nicht mehr weit ist. Zurück aus dem Berg. Zurück über Tage. Kattowitz / Köln . Reise zum Mittelpunkt der kleinen Wichtigkeit. Menschen mit Achtung begegnet. Trotz Staub im Gesicht. Schwer atmet die Lunge. Bergbau ist ein hartes Geschäft.

Siebengänge*

I. Speckpflaumen Besteck:

Position:

Messer, Gabel
(mittlere Größe)
Links, rechts;
je außen
II. Suppe
Hackbällchen
Besteck:
Position:
Normaler Löffel
Rechts, außen
III. – Erinnerungslücke mit Piano –
IV. Biersuppe Besteck:
Position:
Kleinerer Löffel
Speck
Oben
V. Ente
Rotkohl
Klöße
Besteck:
Position:
Messer, Gabel
Links, rechts,
je innen; Hauptgang!
VI. Sorbet
Kand. Äpfel
Besteck:
Position:
Kleine Gabel
Oben
VII. Wurstplatte
Eingelegtes
Häppchen
Fisch
Besteck:
Position:
Messer, Gabel
Nachgereicht
ink. Teller
*Beschreibung aus der Sicht eines Arbeiterkindes

Bohrungen I

Dies ist eine wissenschaftliche Reise, aber sie allein als diese zu verstehen, damit würde ich niemandem gerecht. Wir sind Geisteswissenschaftler und arbeiten mit Literatur, Sprache und Gesellschaft. Jeder liefert seinen Beitrag; eine Perspektive. Sei sie noch so speziell und differenziert – sie ist darin berechtigt.
/

Manche durchdringen einen sofort und bleiben stärker haften als andere. Das ist nicht zwingend ein Zeichen von oder für Qualität. Sie sind dadurch nicht schneller verstanden. Jeder einzelne Vortrag ist es wert, noch einmal gelesen zu werden. Textarbeit im Detail. Aufmerksamkeit durch Ruhe und gerichteten Blick. Notwendig die Überprüfung des Eigenen und Fremden als Begegnung und Konfrontation. Der öffentliche Vortrag kann darauf nur hinwirken. Eine Richtung. Durchstoßung der Oberfläche. Bohrung höchst individuell. Tiefenstruktur nur durch Entwicklung und Arbeit.
/

Auch Wissenschaft funktioniert nur und nicht ohne
den eigenen Körper und seine Gestalt.

Ein paar Stichworte:

  • Autor als Schreibender nur Bruder des
    gesamten Personals
    → Schreiben/Schriftsteller der Beruf, Sprache
    hat jede*r
  • Schreiben als demokratischer Vorgang
    (Teilhabe)
  • Grundsätze des Böllschen Schaffens
    → “Rahmenlose Gesellschaft”
  • Jeder Zeitgenosse, immer
  • Ablenkung
  • Ungehaltene Rede
    → Bürgerliche Grundrechte
    → Die Würde des Menschen ist unantastbar
    → Alle sind vor dem Gesetz gleich
  • “Wortkünstler”
  • Über die Faktizität hinaus
  • Realität als Wirklichkeit erkennen /
    anerkennen
  • “Lesen Sie diesen Satz langsam” (Politik)
  • Zeichen eines humanen / ethischen Realismus
    → Kraft der Wahrheit ins Auge zu blicken
    und: diese auch auszusprechen

Aufmerksamkeit steigt
Analytisches Moment absorbiert
Aufmerksamkeit ganz bei der Sache
in Vorbereitung eigener Präsenz
ohne Einbildung; als Professionalität
und ehrlich gemachtes Angebot
zu Gespräch und Diskussion
Abwarten.

Währenddessen: Leidende Körper
Kirche, strukturelle Gewalt;
Katholizismus
Dann: “Kommen Sie doch nach vorne”
Kurze Einführung
Mein Vortrag beginnt
Privatheit und keine
Aufmerksamkeit
ca. 20 Minuten
schnell vorbei
wie erwartet
Werfe nur flüchtige Blicke ins
Plenum
Ich glaube sie haben wirklich
zugehört
aus Interesse und vielleicht
Unterhaltung
interessiert an der Sache
im Dienste der Wissenschaft.

Diskussion fällt kurz aus.

Anerkennende Worte für 3,
Kritik gegen 2,
Kommentarlos zu 1.

Es hat funktioniert
glaube ich
zurückhaltend
noch immer
Blicke lesend
Kommentare hörend
Situationen ertastend
teilnehmendes denken
als Beobachtender
beobachtet
Wirksam
durch Interaktion
– Pause.

Ich führe ein Gespräch bei Kaffee und Kuchen. Wir unterhalten uns interessiert. Beide. Respektvoll. Es kommt zur Frage. Ich kann die Antwort nicht geben. Es gibt ein Gefälle. Natürlich. Nicht zu verleugnen. Bin eine ehrliche Haut. Daran führt kein Weg vorbei. Es ist offensichtlich. Mein Gegenüber löst die Situation liebevoll auf und stellt mir den Auftrag. Ich nehme ihn an. Rechne mit dem Verständnis. Weiß darum nicht. Werde mich melden.

Die Sprache wechselt auf Polnisch. Es gibt etwas zu klären an oberster Stelle und vorderster Front. Wo sind sie denn alle, die kritischen Geister.

Nur am Rande aus der Erinnerung bemerkt:
Stasi-Akten wurden aufbewahrt und zugänglich
gemacht. Die westdeutschen Dokumente der
Geheimdienste vernichtet. Abgehört wird nur
in eine Richtung…

Veränderte Situation: “Wenns genehm ist!”

Ich nicke mit dem Kopf und bekomme noch ein Stück Kuchen. Mir ist jetzt klar, dass nicht nur direkte Liebe zu einer Frau direkt durch den Magen geht. Korrigiere mich also: Liebe geht generell durch den Magen. Also Liebe zum Menschen. Nur Verliebtheit irritiert bloß kurz das Gedärm als Verstörung der Dimensionen von Wirklichkeit.

Rückkehr in den Raum. Es folgt Musik, eine Vorstellung, dann eine Einführung, dann eine Lesung. Unmittelbare Stimme. Einblick in das Geschehen vergangener Tage. 1943. 1944. 1945. Front. Elend. Abgründe. Angst. Bomben. Zerstörung. Schmerzen. Liebe. Gott. Hoffnung. Annemarie. Und immer wieder Angst und ein Bedürfnis zu schreiben. Nüchtern friedvoll der Artillerie Antwort gebend, Ausgesetzt dem Staccato des Terrors echter Gewalt und der Zerstörung in friedliebender Landschaft und freier Natur.

Dieses Elend ist durch den Menschen gemacht.

Es folgt noch einmal Musik und dann ist der erste Teil in der Bibliothek schon beendet. Wir wechseln den Ort.

Kurzfassung der jüngsten Ereignisse in absoluter
Freiheit und totalem Frieden verfasst:

Musik Tagebücher Einführung Musik Lesung
Musik Lesung Musik Abmoderation Feierabend
Ortswechsel Essen in der Gemeinschaft
friedvolle Überforderung Dankbarkeit
Aufregung Bett. Keine Angst. Absolut keine
Angst. Und das in Europa! Und das nach dieser
Geschichte. – Bett.

Gastfreunde

Ich bin früh dran. Erreiche das Gebäude. Vor der Bibliothek steht die erste Gruppe. Werde begrüßt. Ihr Tagungsteam – die Grußformel ist jetzt persönlich. Das fühlt sich gut an.

Willkommen in der Forschung. Bestes Wetter, Kattowitz im Herbst. “Kann mir die Namen ganz sicher nicht alle merken”, sage ich. “Dafür genügt ein Blick ins Programm”, sagt er. Ich denke: Könnte ich die Namen so lesen, wie sie hier und heute klingen, dann wäre das einfach. Bin ich schlecht vorbereitet? Wird sich sicher zeigen.

Bin etwas aufgeregt, aber habe nichts zu verlieren; außer für heute und morgen und alles für immer. Nicht weniger pathetisch ist meine Hoffnung und mein Glaube daran, dass alles sehr gut wird. Ich freue mich wirklich, trotz der ungewohnten Situation. Fremdel in der Rolle, aber das Fremdeln ist mir nicht fremd. Das gibt Sicherheit.

Wir stehen in der Halle, vor der Ausstellung. Ich schaue mir ein paar Stellwände an. Komme mir noch etwas komisch vor, mich in eine Gruppe zu stellen. Während sich die Leute dort kennen, kenne ich sie nicht. Stellt man sich da einfach dazu? Was fragt man. Was sagen sie. Was kann ich antworten. – Ehrlicherweise muss ich feststellen: Das kann man natürlich nur erfahren, wenn man dabeisteht. Nicht separiert.

Die Tagungsleiterin bindet mich in ein Gespräch im Abseits und überwindet die sozialen Räume. Ein feines Gespür. Sicher sind die Aufregung und eine gewisse Unsicherheit gegenseitig; auf unterschiedlichen Ebenen. Aber es bleibt eine Anspannung in dieser Situation, die der Veranstaltung angemessen ist; die sie in das rechte Licht rückt. Es ist ein Ereignis. Ereignisse sind immer besonders. Besonderheit kennt keine Routine, auch wenn man sie kennt. Es ist jedes Mal neu. Für uns beide. Das wissen wir. Wir werden unterbrochen.

*** Einlass ***

Einer sagt: “Kommen Sie rein” und ich verstehe es wirklich. Er hält die Tür auf. Es klingt mächtig in den offenen Raum. Nicht akustisch. Die Resonanz ist reiner Widerhall. Ohne Klang. Klare Struktur, weil als Kontur nicht erkennbar. Spürbar. Anders. Nähe. Eine Einladung in den Saal. Darüber hinaus. In eine Region. Wie in das Leben. Tritt über die Schwelle. Gefühl. Entsprechend: Gewinn.

*** Offizieller Beginn ***

Es folgt eine Begrüßung in zwei Sprachen mit Übersetzer. Simultan. Der Ton meines Gerätes funktioniert nicht. Ich höre nur ein unbestimmtes Rauschen. Stehe auf und frage oben am Eingang nach einem anderen Gerät. Ersatz. Die Organisatoren helfen mir, stellen den Kanal ein. Jetzt klappt es. Ich gehe zurück, Kopfhörer im Ohr. Jetzt klappt sie, die Verständigung. Komme wohl endgültig an.

*** Eröffnung und Vortrag ***

Es folgen mehr als eine Begrüßung. Jede*r sagt etwas. Namen werden in der Reihenfolge vertauscht. Dank gebührt allen. Applaus. Einstimmung auf die Tagung. Diesen Tag und den nächsten. Hinführung zum ersten Höhepunkt: Eröffnungsvortrag. Ethischer Realismus als über sich hinausweisende Faktizität auf sprachlicher Ebene. Verstehe nicht alles beim Hören. Höre aber gebannt zu. Bin froh, dass der Text auch gedruckt wird. Genieße den Tag – jetzt schon.

Dann Pause. Mittagessen. Getränke, erste Gespräche.

***
Ich ahne jetzt, was hier noch möglich ist.
Wissen tue ich es nicht. Nicht mal,
dass ich es ahne.

***
Nicht ahne ich
die wirkliche Konsequenz
dieser nachhaltigen Begegnung
seit der ersten Minute
und darüber hinaus
bis an den Tag
da ich dies
als notwendig
schreibe.

Kohle

Sterile Bar mit Zuhälter

Der Tag ist dunkel / Der Rundgang vorbei / Das Essen war gut / Da ich nicht alleine im Appartement sitzen möchte, beschließe ich den Fußball als Grund zu nutzen, um noch einmal in eine Bar zu gehen. / Ohne Fußball sieht das noch komischer aus. / Noch komischer ist es nur alleine auf dem Appartement in der fremden Stadt, nur sieht es da keiner. / Aber belasse ich es wirklich bei der einen Übung des Vortrags? / Beschließe morgen noch eine zu machen. / In voller Montur. / Mit dem Stift in der Hand. / Streichen. / Streichen. / Streichen.

Die Stadt ist heute etwas anders als gestern. / Zumindest in der Dunkelheit. / Heute arbeiten die Nutten wieder. / Gestern bin ich etwas planlos mindestens drei Mal über diese Ausgehstraße gelaufen / ohne zu wissen, wo ich nun meinen Platz finde. / Heute gehe ich weniger planlos, natürlich noch immer alleine. / Das macht mich zum potentiellen Kunden. / Geräusch. / Ein komisches Pfeifen. / Jemand kommt auf mich zu. / Verlässt einen anderen Jemand in dunkler Jacke. / Die Weiße kommt auf mich zu. / Das konnte ich sehen, als ich den Kopf kurz gehoben und im Augenwinkel die Herkunft der Akustik ausgemacht habe. / Fast tierisch instinkthaft. / Doch kontrolliert. / War dann froh als ich sah, dass es um bezahlten Verkehr ging. / Kenne ich aus Hamburg. / Das war ein Stück Heimat. / Gehe zügig weiter und richte den Blick Richtung Boden. / Nicht auf den direkten, sondern suche einen Fluchtpunkt ein paar Meter vor mir. / Nachdenklich. / Vierte Wand. /
Dann stelle ich fest – im Tunnel – dass ich in Köln nur einmal einer Nutte über den Weg gelaufen bin. / Noch während des Zivis. / Wirkte wie auf Drogen. / Dann fallen mir noch zwei, drei Situationen ein, seitdem ich in Kalk wohne. / Aber das waren Begegnungen im gemeinsamen Alltag. / Jeder war befasst mit seiner Arbeit. / Angesprochen wurde ich in Köln nie. / In Berlin damals einmal in der Gruppe. / Mit der Band auf Tour. / Das erste Mal. / “Wir sind alle schwul”, rief unser Bassist. / Berliner. / “In den A* f* könnt ihr mich auch”, rief die Perücke als etwas unerotische Antwort mit sympathisch lustvoller Stimme hinter uns her. / Wir dachten an alles – außer Sex. / Zusammen. / In der Gruppe. / Was jeder für sich dachte – darüber liegen mir keine Informationen vor. / Erinnerungen habe ich nicht. / Wir haben auch nie darüber gesprochen. /
Wundere mich noch immer, dass die Nutten in Köln offensichtlich eben nicht sicht. / Unsichtbar. / Weiße Jacke. / Ich denke an Engel, Böll und während ich schreibe fallen mir Die Brennenden ein. / Vielleicht wollte sie retten. / Nur bin ich nicht hilfesuchend. / Ich bin selber Retter. / Auf andere Art. / Kann sie nicht wissen. / Ich kann offensichtlich schwimmen. / Allerdings sieht es wohl angestrengt aus. / Das macht mir Gedanken. / Vielleicht hätten wir uns doch mal unterhalten sollen. / Gemeinsam über das Retten. / Die Geschäfte. / Bei ihr laufen sie besser. / Da bin ich mir sicher. / Mir fällt noch eine Begegnung auf der Straße vor der Synagoge in Köln ein. / Alter kleiner Mann mit Glatze. / Weiß. / Junge schlanke, groß gewachsene Frau von eleganter Statur. / Nicht-Weiß. / Ich vermute Geschäftsreise. / Beide. / Unsichtbar sind sie also nicht. / Nur wer sie sucht, muss sie finden. / Und man muss sie sehen, wenn sie denn kommen und man sie braucht. /
Ich gehe an die Bar. / Frage ob die Bedienung Englisch spreche. / Tut sie. / Blonde, junge Frau von zierlicher Gestalt. / Ihre Kollegin brünett. / Schlank. / Groß. / Tättowiert. / Beide. / Knappe Hosen. / Wie Hemden. / Körperbetont. / Berufskleidung. / Gäste: Ausschließlich Männer. / Essen, trinken, Fußball und –. / Der Raum wirkt steril. / Saubergeputzt. / Präservativ. / Ich fühle mich auf der anderen Seite des Stereotyps. / Das sehen die Blicke. / Ich fühle mich fremd. / Ungemütlich. / Mir passt es ganz gut, dass das Spiel schnell entschieden ist, auch, weil das Fernsehbild durch das Rahmenkreuz des vierkacheligen TVs wirklich eine Zumutung ist. / Halbzeit. / Ich bestelle nicht noch ein Bier, sondern beschließe nach Hause zu gehen. / Verbindendes Element: Hier nicht. / Suche Distanz. / Bin froh, wenn ich raus bin. / Bezahle bar. / Ist hier wohl selten. / Es gibt Probleme mit dem Wechselgeld. / Die Frau hinter der Theke wendet sich an einen der drei Männer hinter sich. / Wirkt wie ein Mädchen. / Jetzt sehe ich sie noch einmal genau an: In der zweiten Reihe hinter der Bar stehen drei Männer von großer Statur mit sehr bösem Blick. / Der Blick ist meine Interpretation. / Vielleicht schaue ich ähnlich. / Das passiert mir manchmal. / Doch die Frau wirkt wie ein Mädchen, das ihren Vater nach Wechselgeld fragen muss. / Zwei hübsche Frauen und drei starke Männer. / Ihre Schultern sind breiter als die der Frauen zusammen. / Ich ahne das Hinterzimmer. / Das es vielleicht gar nicht gibt. / Vielleicht. / Oder Hauptquartier. / Einer der Herren schaut ins Portemonnaie. / Ich kriege 10 Zloty zurück. / Vielleicht ist meine Summe zu klein. / Und hier zahlt man elektronisch. /
Verlasse meinen Platz neben der Bar und bin glücklich wieder an die frische Luft zu kommen. / Gehe durch die Dunkelheit an den Nutten vorbei, die noch einmal rufen. / Diesmal schaue ich nicht hoch. / Gehe in den Tunnel. / Streife Graffitis und die drei Bars am Ende. / Das Gewässer beruhigt sich. / Freue mich auf das Bett. / An diesem Tag zu viel wirklich gesehen. / Kattowitz heute zu aufregend. /

Im Bergwerk

Unter Tage wollte ich nie
Wirklich nicht
Habe große Angst vor der Beklemmung
Überall Wände, Felsen und Abschluss
Hier fällt uns nicht der Himmel auf den Kopf
sondern Steine, Geröll, Erdmasse.
Dieses Museum ist im Berg
Ein ästhetisches Berg-Werk
Kein Produkt industrieller Förderung
Und doch weiß ich nicht, wer die Zeche hier zahlt
Eintritt für mich heute: 1 Zloty
Aus Verlegenheit kaufe ich
im Restaurant einen Kaffee
+ Wasser.
Sehe Bilder. Malerei
Viele Farben
Bekannte Striche
Personen, Landschaften
Ein Pferd an der Grenze zum Tod
Nur der Reiter schaut mutig hinüber
Suche die Beziehung zum Mut
Wagnis, Wahnsinn
Ist die Furcht also tierisch
Und der Mensch bastardiert durch
die Geilheit auch darüber zu stehen
“Es geht um die Existenz” – nicht bedingungslos.

Der Reiter ist Beleg für die Schwäche
Mensch gegen Natur kennt nur einen Sieger
Und ich sehe ihn, dersie nicht im Bild ist
Sondern abseits und spürbar
Vorbei an Skulpturen
Farben, Farben, Farben
Bis zur Photographie
Malerei legt die Gründe
Stehen dann nebeneinander
Zwei Künste in ihrer Qualität
Dann kommt es zur Trennung
Entfremdung und Findung
Selbst: Malerei
Selbst: Photographie
***
Gehe eine lange Treppe hinunter
Keine Stufen
Hängende Brücke
Hinab in die Tiefe
Oberschlesien
Geschichte
Deutsche Sprache
Eine Frau spricht mich an
In meiner Sprache
Wir sprechen
Ich gehe in die Ausstellung
Sie sucht mich auf
Stellenweise und erzählt
Über die Ausstellung
Über Geschichte
Aus ihrem Leben
Es kommt zur Situation
Wir sprechen darüber nicht
Ich glaube wir spüren es Beide
Sympathie, Nähe, Verbundenheit
Vielleicht die Liebe des Nächsten
Als Freiheit von aller Gewalt
All die Eindrücke reichten
Es ist mehr als zu viel
Man kriegt doch nicht genug
Gastfreundschaft ist so
Verständigung gelingt
Eigentlich über der Sprache
Worte wie Stellvertreter
Jenseits von Grenzen
Geselligkeit denken
Handeln als
gegenseitiges Eins.
***
Sie heißt wie meine Schwester

[PROGRAMM]

  1. Galerie der unprofessionellen
    bildenden Künste
  2. Galerie der polnischen
    Kunst nach 1945
  3. Galerie der polnischen
    Kunst von 1800 bis 1945
    ———————————————-
  4. Galerie der schlesischen
    religiösen Kunst
  5. Licht der Geschichte.
    Oberschlesien im Verlauf
    der Geschichte*****
  6. Labor der Theaterträume
    – Vergangenheit in der Gegenwart
  7. Wanderausstellungen

*****

  1. Der Eingang in das Bergwerk
  2. Die Urgeschichte Schlesiens
  3. Der Palast – Tradition und Moderne
  4. Die industrielle Revolution
  5. Die Entstehung von Städten
  6. Moderne Architektur
  7. Auf der Suche nach Identität
  8. Arbeiterviertel
  9. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen
  10. Das Plebiszit
  11. Der Dritte Schlesische Aufstand
    Zwischen den Kriegen
  12. Der Zweite Weltkrieg
  13. Die Schatten des Krieges
    – die oberschlesische Tragödie
  14. Die Zeit des Kommunismus
  15. Die Folgen der ausbeuterischen
    Wirtschaft
  16. Die Zeit der Solidarność
  17. Das Kriegsrecht
  18. Das Ende der VR Polen
  19. Kreativer Bereich für Kinder

[BRUCHSTÜCKE]

LICHT DER GESCHICHTE

[…] an der Stelle […], an der einst das Bergwerk „Katowice“ stand […]

Den Bergmannssäbel als Ehrenauszeichnung für Bergleute führte man in Polen im Jahre 1967 ein.

Wir sehen wie Schlesien zu einer Brücke zwischen Ost und West wurde, zu einem Schauplatz heftiger politischer und religiöser Konflikte und schließlich, wie es von einer Hand zur anderen gereicht wurde.

Zeitgleich blühte […] das kulturelle und geistige Leben und Schaffen.

Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts kam ein gewaltiger Umbruch, als aus England mitsamt der industriellen Revolution die erste Dampfmaschine nach Schlesien gebracht wurde. […] Die Landschaft begann sich […] zu verändern, im bisher grünen Oberschlesien entstanden Bergwerke und Hütten […]

[…] Menschen wurden zu Arbeitern.

[…] Es entstand abermals eine neue Gesellschaft. […]

[…] Das, was bisher als stetig und unveränderbar galt, lag zu großen Teilen in Trümmern. Es folgte der Untergang der traditionellen Arbeiterkultur, deren einzige Stütze ihrer wertvollsten Elemente das eigene Heim war.

***
Der arbeitslose Froncek, ein schlesischer Schelm, der unterschiedliche Situationen auf der ganzen Welt meistert, ist eine der beliebtesten polnischen Comicserien der Zwischenkriegszeit.

Der St. Annaberg ist einer der wichtigsten sakralen Orte in Oberschlesien […].

Kränze aus Silber oder Gold, in ärmeren Kreisen aus vergoldetem oder versilbertem Papier oder Metall, trugen schlesische Frauen anlässlich von Hochzeitstagen […]. Die Tradition, Hochzeitstage zu feiern, wird in Oberschlesien immer noch praktiziert.

[MITBRINGSEL]

Der Schlesier isst zu Heiligabend Mohnklöße

(auf Schlesisch: Mohnkließla)

Zubereitung:
100 g Butter in einem Topf
schmelzen lassen, 250 g
gemahlenen Mohn dazugeben und
sofort mit einem Liter siedendem
Wasser oder kochender Milch
übergießen, dann heftig umrühren.
Die Zutaten im Topf aufkochen
lassen, dann 15 Minuten lang
unter ständigem Rühren auf
kleiner Flamme köcheln lassen.
500 g Honig, 200 g Nüsse und
150 g Rosinen dazugeben. Es soll
eine nicht allzu dicke Mohnmasse
entstehen.

Vier Brötchen in Scheiben
schneiden und in Milch tauchen.
In einer Schüssel schichten:
abwechselnd Brötchen und
Mohnmasse, damit die oberste
Schicht aus Mohn besteht. Dann
mit Trockenobst garnieren und im
Kühlschrank abkühlen lassen.

Auf dem schlesischen
Weihnachtstisch dürfen ebenfalls
Hanfsuppe (siemieniotka – Suppe
aus Nutzhanf) sowie Motschka
nicht fehlen – eine Art dicke
Suppe/Nachspeise mit Trockenobst,
eingeweichtem Lebkuchen, dunklem
Malzbier oder Fischbrühe –
abhängig von Familienrezepten.

*** RÜCKWEG AN DIE OBERWELT ***

Kattowitz II

18.10.17

Sitze im Park an der Straße
der Verkehr fließt
wie das Wasser im Brunnen
dynamisch, weniger verspielt
am Rande des Spiels hört man Quietschen
—————————————————————
Es ist Mittag, nicht nur ich mach‘ wohl

jetzt eine Pause
kommt eine Gruppe junger Leute
im Anzug
Zweitgruppe gleiches Äußeres
nur etwas älter und weniger
die Frauen im Beet pflanzen
Zwiebeln in die Erde
kurz vor dem Winter
im Park nebenan sammeln zwei
Andere das Herbstlaub
bemerkenswert ruhig
mit harmonischem Schwung
ganz ehrlich und konsequent
mit nie letzter Geduld.

——————————————————————

Bemühe ein Resümee des ersten Tages und bin noch
immer beeindruckt.

Man muss eines einschränkend sagen:
Manchmal denke ich, es ist etwas wie Kalk. Nur größer. Gewachsen. Industrie. Arbeit. Arbeiter. Viele. Wollen wohnen. – und leben. Bekommen Wohnraum und Leben, aber befristet, begrenzt und knapper bemessen. (Komme nicht weiter)
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Schräg gegenüber schauen die Leute mich an

während ich schreibe.
Zwei Frauen, die gerade nicht Gärtnern
– in einem Büro.

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Der Unterschied zu Kalk ist so offensichtlich, dass ich mich wundere, wie er mir auffallen konnte. Ich dachte eben noch, die Frauen kehren das Laub, als ginge es um die eigene Familie, Gemeinschaft. Dachte dann bemerken zu können, dass so etwas hier vielleicht noch klappt wenngleich anders. Wunderte mich dann, ob es allein eine Frage der Kirchen sei, die hier zu den saubersten Plätzen zählen. Stelle dann fest, dass sich Verfall und Schönheit selten so präzise treffen im Alltag. Nur die Kirchen sind schöner, stehen irgendwie an der Spitze.

Kattowitz im Herbst zeigt den fließenden Übergang der Natur auf dieser Bühne besonders.

Was fehlt gegenüber Kalk, ist nicht die westliche Zivilisation, sondern ihr orientalisch-arabischer Antagonist. Es gibt zwar ein paar Kebap-Häuser, einen Mexikaner und zwei, drei Asiaten – soweit ich die Stadt gesichtet habe. Aber im Zentrum sehen mir alle die Fremden auch gleich aus.

Gehe ich in Kalk oder auch Mülheim auf die Straße und sehe die Fremde und fühle sie nicht mehr, als am Morgen im ehrlichen Spiegel, stelle ich fest: Ich verstehe sie nicht diese Fremde, aber ich mochte sie schon immer dann besonders, wenn sie die großen Gruppen in Teile zerlegt und Einzelnes sichtbar macht.
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Es gibt keine Stringenz in diesem Fragment.

Kattowitz I

17.10.17

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Baugeruch, Staub, Trümmer
Spannung zwischen alten Gebäuden und Verfall und
Liebe.
Zwischen Herbstlaub strahlen die Kirchen.
Aus einem Lautsprecher klingt die Messe, ich bleibe
vor der Glastür hinter der Holztür im Zwischenraum stehen.

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Fühle die fremde1 und sehe in den Blicken mein Vorurteil. Tue mich schwer in den Städten, wenn meine Sprache mir fehlt. Fühle mich hilflos und einsam. Isoliert unter Menschen, stelle mich an.
Stelle fest wie verwöhnt ich bin als aufgewachsener Europäer, der die Grenzen schon nicht mehr kämpft außer im eigenen Kopf.

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War jetzt auf dem ersten Rundgang.
Gewöhne mich langsam an mich in der Stadt.
Es gibt diese Spannung sehr deutlich zwischen vergangener Arbeit und glücklichem Heute riecht man die Kohle.

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Auch hier meine ich gibt es ihn den Scherenschlag
der Potenz von Hilflosigkeit auf beiden Seiten der
Macht
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War in der Bibliothek
Ausstellung
eigene Sprache
ein bisschen Zuhause
fühle mich wohler
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habe noch nie, also lange nicht
so gesund gegessen.       nichts! aber gut!!2

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hatte ganz vergessen, wie es ist, alleine zu
reisen

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1. Sic!
2. Streichungen bei Übertragung am 22.10.2017

Ankunft

Veröffentlichung einer Nachricht aus der Post des Reisenden:

Ich bin tatsächlich gut angekommen. Die Stadt ist irgendwie ganz seltsam spannend – zwischen Ostblock, Arbeiterstadt und vielen Studenten hat es auch etwas von einer kleinen Großstadt, die sich Momente der Gemütlichkeit bewahrt hat – und des Katholizismus.

Ich bin total begeistert und gleichwohl völlig damit überfordert. Akklimatisiere mich also sehr langsam, wobei ich mich auch immer etwas anstelle, wenn keiner meine Sprache oder Englisch spricht. Bin aber dank eines Tipps in einem ziemlich guten, kleinen vegetarischen Restaurant gelandet. Dort haben sie die Schüchternheit des Reisenden ganz liebevoll nichtig werden lassen. – Das ist sehr sympathisch.

Den Ort des Geschehens habe ich natürlich auch schon gesichtet und zu meiner Überraschung und vor lauter Schrecken die begleitende Ausstellung entdeckt. Dann festgestellt, dass wir beide aus Köln sind. Alles also ganz schön aufregend gerade. Hoffe du hast auch einen guten Tag gehabt.

Liebe Grüße
aus Kattowitz

›Clevelyn‹ (Name geändert; Verf., 13.12.2022)

Aufbruch

Dienstag, gegen Mittag
Rucksack und Koffer gepackt
Schließe die Tür
Fällt ins Schloss
Schließe um
Verlasse das Haus
Durch die Haustür
Gerüst vor dem Haus
Sanierung; Streichen
Dann bekannte Route
Kalk, auf der Straße
Richtung Arcaden
Bis zur Vorstadtprinzessin
Ex-, heute Kampfsport
Gehe bis zur S-Bahn
Trimbornstraße
Begleitet vom Kofferschlitten
Mit Rollengeklapper
Treppenaufgang
Verpasse eine zu frühe S13
Nächste wie geplant
Minutenlang warten
Denke an damals
Heute alleine

[Anekdote:]

Vor wenigen Jahren standen wir hier
BM und Ich; nachts; Prinzessin geschlossen
Kein Geld für ein Taxi; Einer gestrandet; Kiosk zu
Nächste Zugfähre über den Rhein: Gg. 4 Uhr morgens
Warten, Erzählen, Warten, Erzählen, – ohne allg.
Langeweile

Anmerkung:

Ich weiß gar nicht mehr, warum wir
damals nicht in meine Wohnung gegangen
sind und uns einfach wie heute bis
Sonnenaufgang in der Küche gegenüber
gesessen, debattiert und getrunken
haben, um uns manchmal zu streiten und
meistens aufmerksam glücklich zu
machen.

Die Polizei dreht damals ihre Kreise
Nach etwa der fünften Runde halten sie an

Polizei: Alllllllgemeine Personenkontrolle.
Guten Morgen.
Freund: Sie haben auch nichts Besseres zu tun.
Polizei: Stimmt. Hier wird ab und an aber
auch gedealt. Und um diese Uhrzeit…
Ich: Betont denkendes Schweigen
Wir dealen mit Worten.Stille
*** Funk
Überprüfung der Daten
Kurzes Gerede
Nicht verdächtig
Feierabend. ***

Als bräuchten wir Ablenkung
Keine Langeweile im Dienst
Das ist kriminell!

Damals wie heute (I):
Nur Zwei, aber
Harmonisches Miteinander
Die totale Gemeinschaft
In pluraler Gesellschaft
Gewandt mit den Worten
Geübt im Streit und
fähig zum Konsens.

Damals wie heute (II):
Besondere Qualität.

[/Anekdote]

***
Eine Frau fragt mich etwas
Ich verstehe sie nicht
Rückfrage
Sie mich wohl auch nicht
Dann ist sie schon weiter

***
Noch einer fragt etwas
Englisch
Erste Umstellung
Sprachwechsel (langsam)
Er will zum Bahnhof
Ich antworte zum Flughafen
Rückfrage
Ich verstehe ihn
Korrektur meiner
Kommunikation erfolgreich.

***
Ding, Ding, Ding
Stempelautomat ist kaputt
Hängt in einer Schleife
Stempelt sich wild
Aber ohne zu stempeln
Betroffene sind irritiert

***
Was machen, wenn die Bahn kommt?


***
Die Bahn kommt
S13, Troisdorf
Nächste Station
Frankfurter Str.
Nach 9 Minuten
Flughafen
Rolltreppe
Schilder
Bildschirm
Check-In
Gepäck aufgeben
Terminal suchen
Erreicht
Bäcker
Kaffee
3 Croissants (Mini)
Sichtung der Leute

Besondere Vorkommnisse:

Eine Nonne gesehen
Blickkontakt gehabt
Sympathisch
Nicht gesprochen
In aller Kürze verständigt
Über Gott und die Welt
Präsenz zeigen
Liebe erfahren.

***
Boarding
Sitzplatz 28A
Fensterplatz
Hinweise zur Sicherheit
Start
Abflug
In der Luft
Versuche zu schlafen

Nach etwa einer Stunde
im leichten Schlaf
wache ich wieder auf

Kurz vor der Landung
Landung
Kattowitz
Flughafen
Bus über Rollfeld
Eingang
Gepäckband
Wiedervereinigt
Koffer&Ich
Vor die Tür
Durch den Ausgang
Bestes Wetter
Sonne im Herbst
Keine Jacke
Trotzdem sehr warm
Busfahrer nett
Busfahrt angenehm
Etwa 40 Minuten
Mitfahrer wenig
Ankunft im Zentrum
Busstation unterirdisch
Am Eingang zur Mall
Einkaufszentrum
Willkommen im Westen
Denke an die Arcaden
Hier alles größer
In der Sache vertraut
Mache erste Schritte
Studiere die Fremde
Von Marken zu Menschen
Als Differenz der Systeme
Erkenne den Unterschied nicht
Außer die Sprache
Muss vor die Tür
Da sich hier alles gleicht
Egal wo man ist
Wage also den Aufbruch
Verlasse die Klimatisierung
Aus dem Gebäude am Hauptbahnhof
Stehe vor der Straße
Auf einem großen Platz
Komme an noch einem vorbei
Durch die Unterführung
Bauarbeiten
Brückensanierung
Arbeitsgeräusche
Kebap
Links abbiegen
Über die Straße
Zebrastreifen
Autos halten an
Vor der Unterkunft
Kurzes Telefonat
Türen öffnen sich
Ganz ohne Schlüssel
Alles läuft
Wie geplant
Fast automatisch

Willkommen in Polen.