Mission am Reichstag

Nach über 15 Jahren
bin ich heute wieder in
BERLIN
die Bundeshauptstadt
fühlt sich an wie
LITTLE NEW YORK
breite Straßen
krasse Häuser, nur
alle halt nicht
so hoch

in der Axel Spr. Straße
vergesse ich mich kurz
selbst

warum vergessen sich
andere nicht

nach Gesprächen
laufe ich zum Reichstag
letzte Woche noch im
Unterricht besprochen
heute schon da
da erkennt man den
Mensch der Tat!

es ist ziemlich diesig
bald wird es regnen
in einem Café
wird man mich für
einen Amerikaner
halten
..
vor dem Reichstag
laufen ich & meine
weißen Schuhe
über die braune Wiese
ich höre ein paar Lieder
Mütze, Kopfhörer, Kapuze
diesen Mann muss man
ansprechen wollen!

einer tut es wirklich
ein älterer Herr aus
Baden Württemberg
früher A14, A15 abgelehnt
„Die ganze Fahrerei!“
3500 Euro Pension
2500 verjubelt er
„70% Beihilfe bei Krankheit
auch für die Frau, die nie
für den Staat gearbeitet hat
und selbst auch noch eine
Rente von 1000 Euro hat“
er lächelt

der Vermessungstechniker
Volksschule, dann Aufstieg
obwohl die Eltern Angst hatten
dass sie dem Sohn beim Englisch
nicht helfen könnten, aber dann
trotzdem Aufbaugymnasium
Karriere, ein echter Erfolg

auch diverse Ländereien geerbt

vor dem Bundestag erzählt er mir
dass er keine Parteien mehr wählt
es sei ja so, dass die nicht an Gott
glauben, aber der schaue durch
Jesus auf uns herab

Freikirche, ob ich davon
schon mal gehört habe;
ich erinnere mich an
solche Gespräche
und bin nicht unvorbereitet
ich denke mir: „Aha, da
bin ich wieder an einen
Missionar geraten oder
wie mein Opa es nannte
‚die Bibelforscher‘ verwalten
Wahrheiten exklusiv!

tatsächlich war der Mann
auf der Grünen Woche und
schreibt jetzt für eine Zeitung
so als „Hobbyjournalist“, das
ist mir sogar sympathisch

TREFFEN SIE HEUTE
DEN PRINTFLUENCER
KAFFEEFLECKEN
INKLUSIVE


AFRIKA, da ist er
engagiert und hilft
das Elend sei groß
die hätten nix, aber
MÜLL³

er versuche da
ein bisschen was
zu machen, bringt
z.B. Fußballtrikots
hin; am Zoll sei er
gefragt worden
ob er einen Laden
aufmachen wolle
er will die Trikots
aber verschenken
ich werde kurz
nostalgisch
und
sentimental

er meint es wirklich gut
dem Zollmenschen
habe er einfach 50 Euro
als value genannt und
die Zollgebühren
habe er dann bezahlt
„Die alten Trikots sind da
der absolute Renner!“

eine versteckte
BIBELGESCHICHTE?

er erinnert daran
dass der Kolonialismus
ein heikles Erbe sei
gerade in Deutschland!

er lächelt sehr ehrlich

als ich ihm sage
dass seine Beschreibung
Afrikas aber auch eine
koloniale Perspektive sei
da stockt er – und stimmt
zu; ich ergänze, dass
sich die Menschen
idealerweise selbst
helfen können

dann erzählt er davon
dass er denen so Bändel
mitbringt, hier brauche
sie halt niemand

nach dem Gespräch
denke ich
der bringt denen
den Müll
und beschwert sich
dass die so viel
Müll haben

vermutlich bin ich
zu streng
wer spricht hier jetzt
Colonial German?

CCAA ist der rekonstruierte Name der römischen Kolonie im Rheinland, aus der sich die heutige Stadt Köln entwickelt hat. BORN IN BERGISCH GLADBACH


plötzlich sagt
der Mann es selbst
er sei „hier auf Mission“
unterwegs
ich sage ihm
dass er bei mir
an der falschen
Adresse sei
ich sei
UNMISSIONIERBAR
und denke an amerika

auf der nonverbalen Ebene
sieht man sofort, dass ich
heute einen guten Tag habe
ich bin ziemlich überzeugend
er schaut mich an und durch
seine Körpersprache gesteht
er, dass er keine Schnitte hat
aber er gibt nicht auf
oder findet das Gespräch
einfach nur nett
wie ich übrigens auch!

meine Mission sei
inzwischen beendet
das gestehe ich ihm

katholisch sei ich
irgendwie
aber in erster Linie
sei ich Wissenschaftler
DER MICH ERRETTET
VOR MEINEN FEINDEN!

er streut immer wieder
mal ein paar Bibelverse
ein, ich bin enttäuscht
dass sonst nichts kommt
er habe keine Angst vor
dem Tod, dem Danach
da muss doch was sein
SEIN SEIN SEIN

ICH BIN BIN BIN
glücklich, keine
Freikarte ins Himmelreich
gesucht – danke!

am Tag danach werde
ich denken, dass ich
wieder gnadenlos
realistisch war
der alte Mann denkt
über den Tod nach
und sucht Halt in
der Religion und
eine Aufgabe in
Afrika
er hat sein Zimmer
bei einer christlichen
Einrichtung über das
Internet gefunden
und seiner Frau ein
Foto vom Café aus
dem Adlon geschickt
nachdem er die
Grüne Woche
besucht hat
um als Hobbyjournalist
darüber zu schreiben
der Mensch braucht
eine Beschäftigung
dann fährt er nach
Hause, ab und an
geht er zum Fußball
mit seinem Sohn

eigentlich ein
nettes Gespräch
am Ende spricht er
sogar den FC an
und sagt, dass er
mit seinem Sohn
immer mal zur Eintracht
fährt, aber es sei schwer
mit den Tickets

ich versuche mal
DIE ANALYSE
er spricht mich an
wir kommen ins Gespräch
er fährt heute noch mit dem
Auto zurück, er war im Adlon
zum Frühstück, nicht das
Buffet für 83 Euro
Kaffee und Croissants
immerhin satte 11 Euro
er handelt mit der
„schwäbischen Bedienung“
(wir kommen ja beide
aus dem Süden)
Butter und Marmelade
zusätzlich aus und
nimmt ein Glas davon
mit, er holt es aus
der Jacke und zeigt
es stolz. Ich sage
zu ihm, dass ich
das für eine ziemlich
‚deutsche‘ Eigenschaft
halte und lächle.

Das
DEUTSCHE
verbindet er
mit dem Glauben
an das Wirtschaftswunder
alle seien von Wohlstand
und Wachstum befallen
eine Ideologie sei das
die Menschen rennen
hinter etwas her
gottlos
handwerklich sei in der
Politik nichts zu holen
da seien einfach nur noch
inkompetente Kameraden
und Frauen am Werk
aber es kämen keine
guten Ergebnisse
heraus

ich frage mich
durch wen Gott
jetzt auf den
REICHSTAG
schaut und
verweise
auf KANT


es geht halt alles
irgendwie durcheinander
der Traum der alten Welt
Ordnungen des 20. Jhs
die Wünsche und Träume
die sich alte Menschen
ermöglichen konnten
ihre Kinder und Enkel
reisen bedingungslos
durch die Welt ohne
Geschichte […]
die ‚Deutschen‘ regen
sich hier und in ‚Afrika‘
darüber auf, dass Dieda
nicht arbeiten
arbeit macht frei
noch immer
since nineteen
drei&drei


ich streue kurz ein
dass seine Vorstellung
von Arbeit „sehr deutsch“
sei‚ aber darauf reagiert
der Mann gar nicht
Arbeit ist ein Thema
über das man in
Deutschland nicht
spricht, nicht kritisch

ARBEIT IST EIN MEISTER AUS DEUTSCHLAND

ich streue kurz noch
ein, dass ja nicht nur
arme Menschen nicht
arbeiten, sondern auch
Reiche würden ja
meist wenig arbeiten
aber das Argument
zündet so wie Kritik
an schlechtem
Management
man prügelt sich halt
mit den Schwachen


rückblickend
wird mir
eine Sache
besonders
in Erinnerung
bleiben
der nette Mann
der mich vor
dem Reichstag
anspricht
ist ein guter
Gesprächspartner
aber er lebt
in einer völlig
anderen Welt
das bin ich allerdings
gewohnt, kann ja
nicht jeder in
meinem Kosmos
seinen Platz finden
er bringt ein paar
Argumente, die
ich nachvollziehen
kann; er hat einen
Aufstieg gemacht
war Arbeiterkind
hat seine Eltern
und sein Milieu
verlassen, aber
nicht ganz und
er akzeptiert
mich als Gegenüber
er akzeptiert auch
dass ich nicht seine
heutige Mission
bin
und darüber bin ich
froh, er wirkt auf
mich irgendwie lost
in translation to 21c

vermutlich müssen
wir mehr miteinander
sprechen, damit die
Politik und das
Politische wieder
zueinander finden
ey, ich hab’ grade 2 Jobs. Arbeite
krass nich’ für Sinn, sondern für Miete
scheiße Politik, ich nix geerbt!


der Mann ist ein
ehemaliger Staatsdiener
er erkennt den Staat
nicht mehr, er hat sich
massiv entfremdet
obwohl er von allem
profitiert – bis heute
wenn man eine Aufgabe
sucht, warum in Afrika
wo ist die Hürde
DEUTSCHLAND
zu einem Land zu machen
ich frage, warum er sich
nicht demokratisch
engagiert und glaube
er ist einfach kein
Demokrat, sondern
ein dt. Fundamentalist
und dort sucht er den
Halt, der ihm im
rasanten Wandel
der letzten Jahrzehnte
verloren gegangen ist
die Welt ist eine andere
geworden und nicht alles
was er erzählt ist falsch
aber Gott wird uns
nicht helfen, denn
GOD IS A DJ
and she
has a gig tonight

Lass ’ma Zukunft machen
gemeinsam und mit Spaß
nicht mit Hass und Hetze
und friedlich, demokratisch
im Streit –
auch das ist eine dt. Lösung
since 1832 KEINE ZEIT


Im Radio läuft ein Lied aus der Zukunft

Soll denn gar kein Frieden werden,
nimmt der Krieg denn noch kein End?
Unsre Länder sind verheeret,
Städt’ und Dörfer abgebrennt,
Jammer überall und Not,
und dazu auch mehr kein Brot.

Friedrich, o du großer König,
stecke doch dein Schwert nun ein,
denn wir haben nur noch wenig,
was dir könnte dienlich sein.
Alles wüste, alles leer –
Länger geht das so nicht mehr. –

geschrieben in 2071
verf. unbekannt